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Warum Ärzte in Celle jetzt chatten

Das Interesse an einem digitalen Austausch ist unter Medizinern gestiegen, doch im ambulanten Bereich kommt es häufig auf zufällige Kontakte an. Ein Arzt aus Celle etabliert ein regionales Netzwerk – mit hohem Aufwand. 

Der Impuls kam in Myanmar. Und erleichtert jetzt den Austausch zwischen Ärzten in Niedersachsen: Vor einigen Jahren arbeitete HNO-Arzt Joachim Draws ehrenamtlich auf einem Ambulanzschiff in Südostasien – und suchte nach Möglichkeiten, den Kollegen vor Ort nach seiner Rückkehr helfen zu können. Die Wahl fiel 2018 auf den Messengerdienst Siilo, der sich als einer der frühesten Tech-Firmen auf die Gesundheitsbranche fokussiert hatte. 

In diesem Jahr begann Draws, auch in seiner Heimat das Tool systematisch zu nutzen. Im März startete er das Siilo-Netz-Celle” – und konnte bis heute bereits fast 100 Mediziner, Apotheker und Heilberufler aus dem niedersächsischen Landkreis, eine Autostunde nordöstlich von Hannover, überzeugen. 

Allein im Juni tauschten die Nutzer dabei 4000 Nachrichten untereinander aus. Überwiegend ging es um den direkten Austausch über Patienten – etwa, um einen Facharzt im Vorfeld einer Überweisung zu informieren. Aber in Untergruppen werden übergreifende Themen diskutiert: So tauschten sich die Teilnehmer im Juni darüber aus, bei welchen teilnehmenden Apotheken noch Medikamente verfügbar waren, die im Großhandel vergriffen waren. Und Kinderärzte warnten einander, als bei einem Kleinkind im Landkreis eine hochansteckende Krankheit diagnostiziert wurde. 

Der zeitlich asynchrone Austausch über den Messenger, inklusive des Versands von Bilddateien oder Sprachnachrichten, erleichtere so den Austausch auf dem kleinen Dienstweg”, so Draws. Vorher gab es nur den Arztbrief oder den Anruf. Die eine Option hatte zahlreiche Limitationen, die andere noch viel mehr.” Die schriftliche Kommunikation war formalisiert und langsam, per Telefonat erreichten sich die viel beschäftigten Mediziner oft nicht. 

Anbieter von Messenger-Diensten hoffen auf neuen Schwung

Zahlreiche Anbieter spezialisierter Nachrichtendienste buhlen bereits seit Jahren um Kunden. Sie alle versprechen eine Art WhatsApp mit Gütesiegel: Über die Dienste soll sich medizinisches Personal sicher, datenschutzkompatibel und einfach über Patienten, Krankheitsverläufe oder die interne Organisation austauschen können. Neuen Schwung für das Thema könnte die Zertifizierung des TI-Messengers bringen, an der die Gematik seit einiger Zeit arbeitet – eigentlich war ein Start im zweiten Quartal 2023 vorgesehen.

Kern ist hier das Kommunikationsprotokoll Matrix, das unter anderem einen leichten Austausch von Daten zwischen verschiedenen Messengern ermöglichen soll. Die Telekom hat in diesem Frühjahr angekündigt, einen eigenen Dienst zu entwickeln, ebenso wie Compugroup Medical (CGM) oder Mediatixx. Awesome Technologies aus Würzburg arbeitet mit dem IT-Dienstleister Arvato Systems an einer Zulassung, ebenso das Hamburger Start-up Famedly.

Adesso aus Dortmund hat mit MediOne ein eigenes Start-up ausgegründet. Doctolib hat im vergangenen Jahr den eigenen Messenger Team” gestartet – und zudem in diesem Frühjahr das niederländische Unternehmen Siilo übernommen.

Messenger für Ärzte: Mühsamer Weg in den Alltag

Größere Organisationen wie Kliniken oder Pflegeeinrichtungen kaufen immer wieder Lizenzen im Paket für ihre Mitarbeiter ein – und sind damit auch die logische Zielgruppe für die Anbieter. Anders sieht es im ambulanten Bereich aus, speziell in den Städten und Landkreisen. In einigen Regionen Deutschlands haben sich sogenannte Arztnetze aus niedergelassenen Haus- und Fachärzten gebildet, die mal mehr, mal weniger eng zusammenarbeiten.

Daneben gibt es zufällige Kontakte von Medizinern, die für sich neue Kanäle zur Kommunikation suchen. Mit einigen befreundeten niedergelassenen Ärzten hat Draws etwa schon in der Vergangenheit Siilo-Nachrichten ausgetauscht. Doch das Beispiel aus Celle zeigt auch: Bis sich diese Angebote wirklich flächendeckend verbreiten, ist viel Arbeit nötig. Nur weil die Bundesregierung den TI-Messenger herausbringt, werden die Kolleginnen und Kollegen nicht ihre jahrzehntelang geübte Kommunikationspraxis verändern”, ist Draws überzeugt.

Der HNO-Arzt setzt deshalb auf eine direkte Ansprache: An freien Nachmittagen setzt er sich auf sein Motorrad, besucht niedergelassene Mediziner in dem weit verzweigten Landkreis mit 180.000 Einwohnern, berichtet von den Einsatzmöglichkeiten, überzeugt sie von dem regionalen und digitalen Netzwerk. Etwa ein Achtel der niedergelassenen Ärzte im Kreis hat er bereits erreicht. Und er rechnet damit, dass sich das Angebot nach und nach herumspricht und die Anmeldezahlen steigen. Es ist etwas mühsam, den Stein ins Rollen zu bringen”, sagt Draws, aber wenn die Kollegen merken, dass es funktioniert, nimmt es schnell Fahrt auf.” 

You can find the original article on the Handelsblatt website.